Rede: Kulturstaatsministerin Monika Grütters

Rede von Staatsministerin Prof. Monika Grütters MdB,
Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien,
anlässlich der Verleihung des Deutschen Buchhandlungspreises
am 31. August 2017 in Hannover

StM Monika Grütters (BKM): Verleihung Deutscher Buchhandlungspreis am 31.08.2017 in Hannover, Schloss Herrenhausen Foto: © Kai-Uwe Knoth Termin-Nr. 188622

Foto: Kai-Uwe Knoth

Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete,

sehr geehrte Frau Kramarek, [Bürgermeisterin der Stadt Hannover i. V. des Oberbürgermeisters]

sehr geehrter Herr Jagau, [Regionspräsident Region Hannover]

sehr geehrte Frau Jürgs, [Vorstandsvorsitzende der Kurt Wolff Stiftung]

sehr geehrter Herr Clark, [Direktor Herrenhäuser Gärten]

sehr geehrte Frau Radisch, sehr geehrter Herr Skipis,

lieber Herr Thadeusz, meine sehr verehrten Damen und Herren,

vor allem aber: verehrte Buchhändlerinnen und Buchhändler!

 

Navid Kermani war im vergangenen Jahr vielfach in den Medien präsent:

als Schriftsteller mit seinem neuen Roman [„Sozusagen Paris“], als Reporter mit einem mehrteiligen Bericht von einer Reise durch Osteuropa [für den SPIEGEL], als Essayist, Redner und gefragter Gesprächspartner, als möglicher Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten … – und auch als leidenschaftlicher Leser: mit einer rührenden Liebeserklärung an den Mann, bei dem er 28 Jahre lang seine Bücher kaufte, und der seine Buchbestellungen immer wieder, hunderte Male, mit drei Worten quittierte: „Morgen ist da“.

„Herr Ömer“, der etwas schrullige türkische Buchhändler aus Köln-Eigelstein,  ist 2016 gestorben, und Navid Kermani hat ihm in einem kurzen Text ein literarisches Denkmal gesetzt.

[SPIEGEL 14/2016; „Herr Ömer“ hieß eigentlich nur mit Vornamen „Ömer“, aber Kermani hat ihn immer „Herr Ömer“ genannt, daher in Anführungszeichen]

„Rüde scheuchte er alle Kunden weg, deren Nase ihm nicht gefiel“, erinnert sich Kermani, „[er] regte sich über jeden Krimikäufer auf – lautstark, sogar wenn der Krimikäufer im Laden stand. […] Einmal wurde mir am Bücherregal ganz anders, als ich hörte, wie er zwei Frauen fragte, was sie hier täten. Ach, nur schauen, sagten die Frauen. Schauen Sie, und dann gehen Sie, sagte Herr Ömer, […] – dabei hatten sie wahrscheinlich nur nach den falschen Büchern geschaut.“

Die meisten von Ihnen, liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, artikulieren Ihr Urteil in solchen Fällen vermutlich etwas diplomatischer – zum Beispiel in Form einer alternativen Lektüreempfehlung. Aber genau wie „Herr Ömer“ sind Sie alle „Überzeugungstäter“ aus Liebe zum Buch: missionarisch im besten Sinne, als Fürsprecher auch unbekannter Autorinnen und Autoren, als Botschafter unabhängiger Verlage – und dabei ausgestattet mit der Leseerfahrung und dem Eigensinn, den es braucht, um jenseits des überschaubaren, von Bestsellerlisten abgesteckten Lese-Terrains verlässliche Lotsen auf geistigem Neuland zu sein. Genau dafür lieben Sie Ihre Kunden, deshalb kommen Sie in Ihre Läden: weil sie darin – im ländlichen Raum genauso wie in großen Städten – sorgsam gehegte, geistige Schatzkammern vorfinden, in denen man beim Stöbern die Zeit vergisst, Lieblingsautorinnen und -autoren bei Lesungen neu kennenlernt und sich gerne zu literarischen Lustkäufen verführen lässt.

Den wenigsten Buchhändlern ist dafür die öffentliche Liebeserklärung eines über drei Jahrzehnte lang treuen und dazu noch prominenten Stammkunden vergönnt. Umso mehr hoffe ich, dass Sie alle auch den Deutschen Buchhandlungspreis, mit dem wir Sie heute auszeichnen, als „öffentliche Liebeserklärung“ empfinden – denn genau in diesem Sinne habe ich ihn vor drei Jahren ins Leben gerufen.

Ich will diesen Preis aber nicht nur als Liebeserklärung, sondern durchaus auch als öffentliche Kampfansage verstanden wissen. Denn wir würdigen damit nicht nur den Beitrag kleiner, inhabergeführter Buchläden zum Schutz der literarischen, der verlegerischen, der kulturellen Vielfalt in Deutschland. Wir wenden uns damit auch gegen die Degradierung eines Kulturguts zur bloßen Handelsware, gegen die Bewirtschaftung einer geistigen Monokultur, in der nur noch das überlebt, was hohe Verkaufszahlen garantiert.

Dazu brauchen wir die Buchpreisbindung, die seit genau einem Jahr [seit 1.9.2016] ausdrücklich auch für elektronische Bücher gilt. Dazu brauchen wir aber auch die Garanten der Mischkultur: die Buchläden „um die Ecke“, die Kiez-Buchhandlungen, die Buchhändler, die mit Freude am Werk sind statt mit teils kuriosen Produktempfehlungen nach dem Motto „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch …“.

Die Preise im Wert von insgesamt 850.000 Euro, mit denen wir in diesem Jahr insgesamt 117 Buchhandlungen auszeichnen, sollen Ihnen – ebenso wie die undotierten Gütesiegel – Aufmerksamkeit verschaffen: öffentliche Aufmerksamkeit, die Ihnen auch dabei hilft, Online-Kunden mit innovativen Geschäftsmodelle in Ihre Läden zu holen bzw. zurück zu holen.

Das alles wäre nicht möglich ohne eine Jury, die mit Fleiß und Hingabe jede einzelne Bewerbung prüft. Allein das ist, wie ich finde, schon eine Liebes-erklärung an die kleinen Buchläden. Denn ohne Enthusiasmus ist es kaum möglich, dafür die Mühe, Zeit und Kraft aufzubringen. Herzlichen Dank, liebe Frau Radisch, herzlichen Dank allen Jury-Mitgliedern für die engagierte Arbeit!

Auch ich persönlich habe natürlich – in meiner Wahlheimat Berlin, in meiner Heimatstadt Münster und an meinem Urlaubsort in Bayern – meine „Stamm-Buchhandlungen“, wo ich mir als unersättliche Leserin steten Nachschub an Lesestoff besorge. Und meistens ist es so, dass ich, wenn ich ein Buch bestellen will, mit dreien wieder raus komme. Zu diesem „literarischen Beifang“ gehört das Buch „Die souveräne Leserin“ des britischen Autors Alan Bennett, das Inka Selle-Cordes mir vor Jahren empfohlen hat – eine Buchhändlerin mit Leib und Seele, die ihre Buchhandlung „Die Biographische“ direkt neben meinem Wohnhaus in Berlin-Wilmersdorf mittlerweile leider aus Altersgründen aufgeben musste.

„Die souveräne Leserin“ – viele von Ihnen kennen dieses Buch bestimmt – erzählt von einer Frau, die in hohem Alter das Lesen für sich entdeckt, was insofern besonders charmant ist, als es sich dabei um die Queen handelt, deren Leseexpeditionen nicht nur sie selbst verändern, sondern zunehmend auch die Konventionen der Monarchie sprengen. Ihrem irritierten Privatsekretär erklärt sie den Unterschied zwischen Information und Lektüre, ich zitiere: „Informieren ist nicht gleich Lesen. Es ist im Grunde sogar der Gegenpol des Lesens. Information ist kurz, bündig und sachlich. Lesen ist ungeordnet, diskursiv und eine ständige Einladung. Information schließt ein Thema ab, Lesen eröffnet es.“

Damit, meine Damen und Herren, ist ziemlich präzise zusammengefasst, warum Bücher nicht trotz, sondern gerade wegen der täglich über uns hereinbrechenden digitalen Informationsfluten Raum und Zeit in unserem Leben verdienen. Deshalb danke Ihnen, dass Sie Menschen fürs Lesen begeistern und die Lesekultur fördern!

Es muss ja nicht die Queen sein …, aber ich bitte Sie:

Sorgen Sie mit Ihrem Angebot weiterhin dafür, dass es „souveräne Leserinnen“ – und souveräne Leser – gibt,

die sich auf die Einladung zum „ungeordneten“ Lesen einlassen,

die Information und Lektüre unterscheiden können

und die das eine wie das andere – die informativen Antworten genauso wie die beim Bücherlesen aufkommenden Fragen – zu schätzen wissen.

Auf eine gute Zukunft für das Buch und seine Liebhaber!