Laudatio Kategorie hervorragende Buchhandlungen: Manfred Metzner, Verleger (Verlag Das Wunderhorn)
Sehr geehrte Frau Staatsministerin, liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, meine Damen und Herren,
»Nichts ist wahr, alles ist lebendig.«
Mit diesem Zitat von Édouard Glissant aus Martinique, der als der bedeutendste Autor der französischsprachigen Karibik und als intellektueller Vordenker in Fragen postkolonialer Identität und Kulturtheorie gilt, möchte ich Ihnen, liebe Preisträgerinnen und Preisträger, im Namen der Jury sehr sehr herzlich zum Preis in der Kategorie »Hervorragende Buchhandlungen« gratulieren.
100 Buchhandlungen können wir in dieser Kategorie auszeichnen und mit der Vergabe von € 700.000 ein außergewöhnlich sichtbares Zeichen für die hervorragende Arbeit von unabhängigen Buchhandlungen setzen.
Die Welt der Literatur und Poesie ist – nicht nur durch die Digitalisierung – in den letzten Jahren rasend in Bewegung geraten und hat sich verändert: Konzentrationswellen im Verlagsbereich, Großflächenangebote im Buchhandel, explodierende Mietpreise in Innenstadtlagen, neue Veranstaltungsorte und -formate für Lesungen, Übersetzungswerkstätten, die Zunahme von Literaturstipendien und Literaturpreisen, Schreibwerkstätten, der von der Kurt Wolff Stiftung seit 2006 herausgegebene Katalog »Es geht um das Buch«, Diskussionen über Urheberrechte und die Rolle der Verwertungsgesellschaften und auch die Vergabe des »Kurt Wolff Preises« an unabhängige Verlage und des Deutschen Buchhandlungspreises zählen dazu.
All dies – und ich habe nur einiges genannt – wirkt sich immer unmittelbar auf Ihre und unsere Arbeit aus. Wir alle sind unablässig gefordert, uns diesen Herausforderungen zu stellen, da ich mir sicher bin, dass wir sie nur gemeinsam als Leser, Verleger, Buchhändler, Übersetzer meistern können.
Für mich, wie für alle Juroren der Jury des 2015 erstmals vergebenen Deutschen Buchhandlungspreises, ist beeindruckend, was der unabhängige Buchhandel auf die Beine stellt, welche Beiträge er zur lokalen Kultur, zu Bildung, zu emanzipatorischer Politik und Vernetzung vor Ort leistet. Egal, wo Sie Ihre Arbeit machen: in den Metropolen oder auf dem flachen Land, im Stadtteil oder als mobile Buchhandlung.
Vernachlässigt wurde vielleicht ein wenig – bedingt durch die ungemein schwierigen Herausforderungen des Alltagsgeschäfts – der politische Diskurs: Wie wollen wir mit Literatur und Poesie künftig umgehen, was bedeuten sie für unsere Gesellschaft, in welcher Welt wollen wir eigentlich leben? Wie sollen unsere Städte, unsere Dörfer aussehen? Braucht es noch das gedruckte Buch, den Buchhändler um die Ecke? Suchen wir noch das Gespräch mit unseren Nachbarn oder begnügen wir uns mit einer Existenz als Paketannahmestation, mit unserer ständigen Präsenz bei Facebook, Twitter und den übrigen Netz-Angeboten. Verlernen wir immer mehr den aufrechten Gang durch APP-Fixiertheit? Bitte verstehen Sie mich nicht miss: Der Ver-Digitalisierung unseres Lebens können wir uns nicht mehr entziehen. Sehr wohl können wir aber immer noch entscheiden, wie wir in unserem Alltag damit umgehen wollen. Welchen Diskurs wir führen möchten.
Gehen wir doch zusammen das Wagnis ein und betrachten unsere Stadt, unser Dorf, unseren Stadtteil als Ort der Zukunft, als Laboratorium einer Gesellschaft, in dem wir der Digitalisierung der Welt unseren Diskurs über die Kulturen und Literaturen der Welt entgegen setzen, die Poesie, die Vielheit der Sprachen und Kulturen verteidigen. Sie, liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, sind mit ihren Buchhandlungen, im Verbund mit anderen kulturellen Institutionen, genau dieser Ort: ein nachhaltiger Treff- und Kommunikationsort der Kulturen, Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen. Ein Ort des Über- Setzens in andere Kulturen. Ein Ort der Neugier, der Sinnlichkeit, des Undurchsichtigen und des gemeinsamen Erlebens und sich Einlassens auf das Unbekannte. Ein Paradies für unsere Synapsen. Seien wir mutig und neugierig, seien wir die neue Avantgarde, die den gesellschaftlichen Wandel mit ihren Mitteln, mit der Kraft der Poesie und der Akzeptanz der Vielheit, in den Griff bekommt. Denn die Wahrheit kommt von weit her.
Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich.
Manfred Metzner
Verlag Das Wunderhorn/Kurt Wolff Stiftung