Laudatio Kategorie besonders herausragende Buchhandlungen: Iris Radisch
Jury-Vorsitzende Deutscher Buchhandlungspreis, Ressortleiterin Feuilleton DIE ZEIT
Es ist mir eine große Freude, hier endlich laut und ausführlich loben zu dürfen, was mich selbst zu tiefst geprägt und recht eigentlich erst zu einer Leserin gemacht hat: nämlich die Buchhandlung um die Ecke.
Wer nicht so privilegiert war, in einem Haushalt aufzuwachsen, in dem das geistige Grundnahrungsmittel Buch in ausreichender Masse und Qualität immer schon verfügbar war, der braucht Mittel und Wege, um überhaupt auf den Stoff aufmerksam zu werden, von dem sich unser Geist, unsere Fantasie ernährt und der unser Bild vom Menschen und von der Welt prägt. Für mich führten diese Wege in meiner Jugend an zwei Orte, ohne die mein Leben bestimmt ganz anders verlaufen wäre. Der eine Ort war die kleine Stadtteilbibliothek in Berlin-Lichterfelde, die längst geschlossen ist. Der andere Ort war die kleine Buchhandlung in unserer Straße, die von einem jungen Ehepaar geführt wurde, und in der ein wohltuendes und offenbar unzähmbares Bücher-Chaos herrschte, in dem ich zur Leserin wurde.
Ich erzähle das, um Ihnen zu verdeutlichen, warum ich so begeistert war, als mich die Kulturstaatsministerin Monika Grütters bat, einer Jury vorzustehen, die eine stolze Anzahl von Preisen an ähnlich ausstrahlungsstarke Buchhandlungen vergibt, wie es meine Buchhandlung im Stadtteil meiner Kindheit einmal für mich war.
Der Buchhandlungspreis, stellte unsere Jury natürlich vor eine ziemlich schwere Aufgabe.
Denn was unterscheidet eine gute von einer noch besseren oder sogar von der allerbesten Buchhandlung? Gibt es objektive Qualitätsstandards, die eine Buchhandlung erfüllen sollte, um ein maximales Füllhorn an Anregung und geistiger Aufregung zu bieten?
Einige solcher Standards gehörten ja bereits zu den Ausschreibungskriterien des Preises. Die Buchhandlungen, die wir prämiert haben, sollten inhabergeführt sein, sie sollten engagiert sein auf dem Gebiet der Leseförderung, sie sollten ein vielfältiges Sortiment beherbergen, in dem auch unabhängige Verlage ihren Platz behaupten können. Schön und gut. All das ist sicherlich unabdingbar, um sich in der sogenannten „kleinen Buchhandlung in unserer Straße“ gut aufgehoben zu fühlen. Doch was war es außerdem, das uns dazu bewogen hat, ausgerechnet einer Buchhandlung in Potsdam, einer in Hanau, in Aachen, in Dresden und in Jena den Preis der Buchhandlungen in der zweithöchsten Preiskategorie zuerkannt zu haben?
Ich versuche es so zu sagen: Es war das in der beeindruckenden Vielfalt der deutschen Buchhandlungslandschaft jeweils überzeugendste und eigenwilligste Profil. Denn es ist ja keineswegs so, dass ein Buchhandlungsprofil, das beispielsweise in einer mittelgroßen süddeutschen Universitätsstadt Furore macht umstandslos auch in einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern zum Vorbild taugt. Diese, ich nenne sie, regionale Jeweiligkeit, die unsere Buchhandlungswelt so unvergleichlich lebendig macht, galt es zu berücksichtigen. Nicht nur die wenigen Topmodells unter den deutschen Buchhandlungen sollten zu ihrem Recht kommen, sondern auch solche Buchhandlungen, die uns gerade durch ihre unvergleichliche und ganz auf ihren jeweiligen Standort und dessen Besonderheiten zugeschnittene innovative und originelle Arbeit überzeugten. In diesem ersten Jahr waren dies der Literaturladen Wist, der Buchladen am Freiheitsplatz, die Buchhandlung Backhaus, das BuchHaus Loschwitz und die Jenaer Bücherstube.
Jedes dieser Häuser trägt auf seine Weise dazu bei, dass die „Lesbarkeit der Welt“ nicht nur eine schöne, aber hohle Philosophenphrase ist. Sondern dass sie auch einen Ort in unserem Leben hat. Als kleine Buchhandlung in unserer Straße, in dem das Leben noch lesenswert ist.