Für die Finanzierung einer Buchhandlung konnten sich die Vertreter seiner Hausbank seinerzeit nicht begeistern, hat Klaus Bittner einmal erzählt. Wenn er mit Maschinen handeln wolle, dann ja, gern käme man mit ihm ins Geschäft, aber mit Büchern? Und was hatte der junge Mann aus Köln der Bank als Sicherheit auch zu bieten außer Büchern? Einen alten R16, 7000 D-Mark…
Dabei war die Welt des Buchhandels damals, Ende der siebziger Jahre, noch in Ordnung. Das Internet hieß noch Arpanet und war ein von der amerikanischen Luftwaffe entwickeltes Netzwerk zur störungsfreien Kommunikation während des Kalten Kriegs. Amazon-Gründer Jeff Bezoz spielte noch im Sandkasten seiner Heimatstadt Albuquerque. Und die Leute kauften ihre Bücher im Buchladen ums Eck. Denn die gab es ja überall, in der Stadt wie auf dem Land.
Wenn wir heute Abend hier zusammenkommen, um die besten unabhängigen Buchhandlungen in Deutschland zu feiern, dann möchte ich den Fokus gern auf das Wort „unabhängig“ lenken. Zwar ist damit in erster Linie eine ökonomische Voraussetzung für die Teilnahme an diesem Preis gemeint: Nämlich, dass die zu würdigenden Buchläden zu keinem Konzern und zu keiner Kette gehören, sondern inhabergeführt sind. Aber ich möchte den Begriff weiterfassen. Denn meines Erachtens ist damit eine, wenn nicht die wesentliche Tugend des guten Buchhändlers bezeichnet.
Laut Duden ist „unabhängig“, wer sich hinsichtlich seiner politischen und sozialen Stellung von niemandem und von keiner Sache abhängig macht. Unabhängig bedeutet: für sich zu stehen, sich von nichts beeinflussen zu lassen.
Schon im antiken Griechenland und im alten Rom gab es bekanntlich Buchhändler. Und schon damals wie auch in der modernen, nach der Erfindung des Buchdrucks entstandenen Buchhandlung bedurfte es Lizenzen, um Bücher zu veröffentlichen. Texte, die missfielen, wurden verboten. Dennoch wurden diese Bücher, auch wenn der Handel damit unter Strafe stand, von Buchhändlern verkauft. Wir kennen die Beispiele, sie reichen von Ovid über Galileo bis zu Flaubert, Goethe, Walter Benjamin, Sigmund Freud oder Egon Fridell. Der Buchhändler war also seit jeher ein unabhängiger Kopf.
Bis heute liegt darin seine noble Aufgabe: Die Bücher, die er für wichtig, relevant, eben lesenswert hält, zusammenzustellen und seiner Kundschaft zu präsentieren. Und so wie Klaus Bittner am Ende ja noch eine Bank gefunden hat für sein kühnes Unternehmen, so erweisen sich bis heute unzählige Buchhändlerlinnen und Buchhändler als wagemutige und risikofreudige Gesellen, die mit ihren Aufladestationen des Geistes einen unverzichtbaren Beitrag für uns alle leisten. Denn so, wie man Bücher auch als Lebensmittel beschreiben könnte, als ein Mittel also für ein gutes, womöglich sogar ein besseres, jedenfalls ein aufregendes, aufschlussreiches Leben, wäre der Buchhändler demnach der Lebensmittelhändler, der, wenn er sich so geschickt anstellt wie die heute Nominierten viel beizutragen hat zu unserem geistigen Wohl.
Wir, die Jury, haben zwei lebhafte und intensive Tage in Berlin verbracht und diskutiert, um unsere Favoriten auszuwählen. Kriterien, die wir hierfür zugrunde legten, waren beispielsweise, ob das Angebot der Buchhandlung aus dem gängigen Mainstream heraussticht. Ob es Schwerpunkte gibt, wie die Bücher präsentiert werden und welche Art der Beratung stattfindet. Wichtig war uns auch, ob es Veranstaltungen gibt, die das Publikum mit ungewöhnlichen Themen überraschen, ob und wenn ja wie die Kinder in den Blick genommen werden und auch die kleinen unabhängigen Verlage die Chance erhalten, sich zu präsentieren. Auch haben wir uns dafür interessiert, wie die jeweilige Umgebung von der Buchhandlung berücksichtigt wird.
Das alles und noch viel mehr war uns bei der Entscheidungsfindung wichtig. Am Ende standen die drei diesjährigen Hauptpreisträger fest: Es sind dies die Buchhandlung „Lessing und Kompanie“, von Klaus Kowalke und Susanne Meysick 2008 in Chemnitz gegründet. Außerdem die von Anna Charlotte Morlingshaus geführte Kinderbuchhandlung „Krumulus“, die seit 2014 am Berliner Südstern existiert sowie die 1980 in Köln gegründete „Buchhandlung Klaus Bittner“.
Die Drei haben uns überzeugt, weil sie unabhängig von Moden und Einflüssen agieren, weil sie unverwechselbar sind in ihrem Charakter und überzeugend in ihrer Präsentation. Und weil alle auf je unterschiedliche Weise ihren Kunden Angebote machen für eine lebhafte Gesprächs- und Diskussionskultur.
Klaus Bittner bietet mit seiner Kölner Buchhandlung ein Lesungsprogramm an, das es mit jedem Literaturhaus aufnehmen könnte. Allein im Jahr 2017 waren dies mehr als 65 Veranstaltungen allein und in Kooperation mit anderen, mit Gästen wie dem Berliner Germanisten Joseph Vogl, der zur Krise des Kapitalismus sprach, aber auch einem Gespräch zwischen dem Hirnforscher Wolf Singer und einem buddhistischen Mönch. Für mehr als fünftausend Besucher war dies Anreiz genug zu kommen. Die Buchhandlung Klaus Bittner nimmt ebenso am Indiebookday teil wie an der Buchhandlungskooperation 5plus. Und dass Klaus Bittner nicht nur Mitbegründer des Poesiefestivals „Atlas der neuen Poesie“ ist, sondern auch das Kölner Literaturhaus mit aus der Taufe gehoben hat wie auch die LitCologne – das alles zeigt, dass der Mann und sein Buchladen aus der Kölner Literaturszene der letzten 35 Jahre nicht wegzudenken sind.
Klaus Kowalke und Susanne Meysick haben sich mit „Lessing und Kompanie“ bewusst nach Chemnitz in ein politisch wie ökonomisch herausforderndes Umfeld begeben, wissend, dass es dort um die Leseverhältnisse nicht zum Besten steht. Sachsen leidet unter Lehrermangel, was sich in der fehlenden Leseförderung bemerkbar macht. Umso beharrlicher verfolgen die Buchhändler ihr bildungspolitisch, wie auch ein literarisch und geistesgeschichtlich anspruchsvolles Programm. Neben Leseabenden, Autorenworkshops und Vorlesewettbewerben für die Kleinen zielt „Lessing und Kompanie“ zudem nicht nur auf Neuerscheinungen, sondern hält auch ein breites Spektrum an Backlist-Titeln bereit. Die politische Situation in ihrem Umfeld beansprucht die Buchhändler zunehmend. Unbestechlich und unerschrocken hält „Lessing und Kompanie“ die Werte der Aufklärung hoch. „Wir wollen uns das freie Wort durch niemanden nehmen lassen“, sagt Klaus Kowalke und behält einen kühlen Kopf.
Die Kinder- und Jugendbuchhandlung „Krumulus“ hat sich in Berlin innerhalb kürzester Zeit zur unverzichtbaren Instanz vor allem für Kinder und Eltern entwickelt. Sage und schreibe 260 Veranstaltungen hat die Buchhandlung in ihren eigenen Räumen im Jahr 2017 veranstaltet. Weitere fünf Dutzend kommen hinzu, die in Kooperation mit anderen Veranstaltern organisiert wurden. Mehr als viertausend Kinder und Jugendliche hat die Buchhandlung damit erreicht. Lese- und Literaturförderung wird hier auf allen Ebenen hochgehalten. „Krumulus“ veranstaltet Märchenabende und Kindertheater, es gibt Gute-Nacht-Geschichten und schulische Veranstaltungen. In einer Galerie wird Illustrationskunst ausgestellt und in einer Druckwerkstatt können die Kleinen aktiv werden. Trotz all der Betriebsamkeit bleibt die Buchhandlung das Hauptanliegen von Anna Morlinghaus, der sie die meiste Zeit widmet: um eine kluge und überzeugende Bücherauswahl zu treffen, mit Titeln, die sich nicht unbedingt auf den Bestsellerlisten finden.
Liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler: Wir, Jurorinnen und Juroren danken Ihnen. Machen Sie weiter so, bleiben Sie geistesgegenwärtig und unabhängig. Wir gratulieren zur besten Buchhandlung des Jahres. Herzlichen Glückwunsch.